Levern (Nordrhein-Westfalen)

Datei:Stemwede in MI.svg  Karte Levern mit derzeit ca. 2.000 Einwohnern ist heute ein Ortsteil von Stemwede im Kreis Minden-Lübbecke - knapp 30 Kilometer nordöstlich von Osnabrück gelegen (Kartenskizzen 'Kreis Minden-Lübbecke' und 'Ortsteile von Stemwede', TUBS 2008, aus: wikipedia.org, CCO).

 

Seit Ende des 17.Jahrhunderts waren zeitweilig wenige jüdische Familien in Levern ansässig; erst um 1800/1820 bildete sich - nach weiterem Zuzug - eine kleine jüdische Kultusgemeinde, die um 1880 mit ca. 60 Personen ihren zahlenmäßigen Höchststand erreichte. Die wohlhabendste jüdische Familie in Levern waren die Löwensteins.

Anfang der 1870er Jahre ging man daran, den bisher in privaten Räumlichkeiten untergebrachten Betsaal durch einen Synagogenneubau zu ersetzen. Die Finanzierung des Baus überstieg allerdings die Möglichkeiten der meist in ärmlichen Verhältnissen lebenden Familien. Deshalb half eine Kollekte in den Regierungsbezirken Münster und Arnsberg, den Fachwerkbau an der „Judenstraße“, dem heutigen Miloweg, zu realisieren. Im Obergeschoss des äußerlich unauffälligen Gebäudes war der Betraum eingerichtet, im Parterre befand sich die Lehrerwohnung. Über der Eingangstür befand sich die Inschrift „Gott schütze unseren geliebten König und Kaiser Wilhelm I.“

Die seit 1854 bestehende jüdische Elementarschule existierte bis 1921; zuerst hatte ein Raum in einem Privathaus als Schulzimmer gedient, seit 1873 wurde Unterricht im neuen Synagogengebäude erteilt.

In Niedermehnen, etwa zwei Kilometer nördlich des Dorfes, lag das Friedhofsgelände der jüdischen Gemeinde Levern, das der Kaufmann Bernhard Löwenstein der Synagogengemeinde gestiftet hatte; seit Anfang der 1860er Jahre wurde es genutzt. Zuvor waren Verstorbene auf dem jüdischen Friedhof in Lübbecke (von 1800 bis 1850) und auf dem von Preußisch-Oldendorf (bis 1862) bestattet worden.

Seit 1898 besaß die Judenschaft Leverns den Status einer Synagogengemeinde. Ihr gehörten zeitweilig auch Familien aus umliegenden Ortschaften an, so aus Dielingen, Haldem, Niedermehnen und Wehdem.

Juden in Levern:

    --- 1816 ...........................  6 Juden,

    --- 1834 ........................... 22   “  (in 3 Familien),

    --- 1843 ........................... 28   "  ,

    --- 1858 ........................... 48   “  ,

    --- 1871 ........................... 48   "  ,

    --- 1880 ........................... 60   “  (in 9 Familien),

    --- 1895 ........................... 31   "  ,

    --- 1900 ........................... 36   “  ,

    --- 1925 ...........................  9   “  (in 3 Familien),

    --- 1937 ........................... 10   “  ,

--- 1938 (Dez.) ....................  keine.

Angaben aus: Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Reg.bez. Detmold, S. 423

und                 Stefanie Hillbrand (Bearb.), Stemwede-Levern, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen , S. 717

 

Ein Großteil der jüdischen Familien Leverns bewohnte Häuser an der Hauptstraße, der späteren Hügelstraße; ihren Lebensunterhalt verdienten sie zumeist im Vieh- und Kleinhandel; einige Familien waren recht wohlhabend. Mit der einsetzenden Abwanderung der jüdischen Bewohner aus Levern konnten auch Gottesdienste nicht mehr regelmäßig abgehalten werden; nur noch an hohen Feiertagen nutzte man die hiesige Synagoge. Im September 1938 wurde das Synagogengebäude an eine Privatperson verkauft; ein anschließend von einem Schüler gelegter Brand - noch vor dem Novemberpogrom von 1938 - wurde im Dorf als „dummer Jungenstreich“ abgetan.

Ende des Jahres 1938 hatten alle jüdischen Bewohner Levern verlassen*; die letzte Familie war nach Berlin verzogen. (*Anm.: Anderen Angaben zufolge sollen bereits 1937 alle jüdischen Personen nicht mehr im Dorf gelebt haben.)

 

Das frühere Synagogengebäude – nahe der Leverner Stiftskirche - wird bis auf den heutigen Tag als Wohnhaus genutzt. An der Außenfassade weist eine Tafel auf die einstige Nutzung der Hauses hin: „Ehemalige Synagoge  - 1873 von der jüdischen Gemeinde in Levern als Versammlungsraum und Schule erbaut. Der Synagogengemeinde gehörten 80 Mitglieder an. Ihre Zahl verringerte sich bis 1932 auf 10 Personen aus 3 Familien, die bis 1937 auswanderten oder in deutsche Großstädte verzogen.

Im Volksmund wurde die Leverner Hügelstraße auch viele Jahre nach dem Kriegsende noch als "Judenstraße" bezeichnet. An die frühere jüdische Gemeinde Leverns erinnert aber auch die sog. "Löwenburg" im Dorfkern; hier wohnte im 19. Jahrhundert Bernhard Löwenstein, der als Eigentümer einer Wurstfabrik seine Gemeinde großzügig finanziell unterstützt hatte. Bis zu seinem Tod (1907) war er auch Vorsteher der Kultusgemeinde Levern.

Im Leverner Heimatmuseum wird heute eine erhaltengebliebene Thorarolle aufbewahrt; sie überstand die NS-Zeit auf dem Dachboden eines Privathauses.

Das jüdische Friedhofsgrundstück, das Ende der 1930er Jahre in die Hände einer Privatperson gelangt war, wurde unter Wegnahme eines Teil des Grabsteine aufgeforstet. Etwa zehn Jahre nach Kriegsende wurde der alte Zustand des Friedhof wiederhergestellt. Etwa 35 Grabsteine des jüdischen Friedhofs sind bis auf den heutigen Tag relativ gut erhalten; allerdings stehen diese vermutlich nicht mehr an ihren angestammten Grabstellen.

Jüdischer Friedhof Levern, Friedhofstor.JPG 

Jüdischer Friedhof Levern, Grabstein von Abraham Sauer, Rückseite.JPGJüdischer Friedhof Levern, Grabstein von Betty Sauer, Rückseite.JPGjüdischer Friedhof in Levern (Aufn. Vluebben, 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

 

Weitere Informationen:

Stefanie Hillebrand, Jüdische Geschichte in Levern und Umgebung 1800 - 1938, in: "Quellen und Schrifttum zur Kulturgeschichte des Wiehengebirgsraumes", Reihe A, Band 7, Espelkamp 1996 (darin auch: Grabinschriften des Friedhofs von Niedermehnen, S. 102 - 109)

Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Regierungsbezirk Detmold, J.P.Bachem Verlag, Köln 1998, S. 423 - 427

Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 in Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 337/338

Jörn Spreen-Ledebur, Ein Weg voller Erinnerungen - Vor 70 Jahren verkaufte Gemeinde-Vorsteher Sauer die Leverner Synagoge, in: "Zeitung für den Altkreis Lübbecke - Neue Westfälische" vom 8.11.2008

Sonja Rohlfing (Red.), Stumme Zeugen einer vergangenen Kultur, in: "MK-Kreiszeitung" vom 9.11.2012

Stefanie Hillebrand (Bearb.), Stemwede-Levern, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Detmold, Ardey-Verlag, Münster 2013, S. 716 - 720

Volker Beckmann, Die jüdische Bevölkerung der Landkreise Lübbecke und Halle I.W. (1815-1945) – Vom Vormärz bis zur Befreiung vom Faschismus, Dissertation an der Universität Bielefeld, 2000/2001 (überarb. 2015, als PDF-Datei vorliegend, S. 22/23, S. 80 - 83 u.a.)

abo (Red.), Ruhende Seelen erzählen, in: "MK-Kreiszeitung" vom 31.8.2016

Sonja Rohlfing (Red.), Stemweder wollen an Nazi-Opfer erinnern, in: “NW – Neue Westfälische” vom 20.5.2021

Dieter Wehbrink (Red.), "Gräueltaten der NS-Zeit niemals vergessen", in: “Westfalenblatt” vom 28.1.2022 (jüdischer Friedhof in Niedermehnen)